Haldeborg

Das Schloß Chillon (Historischer Text aus 1938)

Das Schloß Chillon.

Auszug aus der Schweizerischen Gehörlosen-Zeitung
Band (Jahr): 32 (1938)
Heft 20
Autor: unbekannt
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Haldeborg

Wer kennt es nicht? Auf jeder Zehnermarke ist es abgebildet, das stolze, trotzige Schloß am See mit den zahlreichen Turmdächlein. Und im Hintergrund ragt darüber hinaus die Dent du Midi, der Mittagszahn. Dieser Berg gleißt wie eine Königin im Ornat und trägt auch eine siebenzackige Krone von Diamantenglanz.

Dort, wo der Rocher de Nahe seine scharfe Felsenkante in den See hinein senkt und damit den Weg gleichsam absperrt, dort steht Chillon auf einem Felsenblock im See drin.

Kein Warenzug konnte da vorbei. Er wurde angehalten und mußte da seinen Zoll entrichten. Denn hier ging die alte Römerstraße hindurch von Genefa hinauf zum Großen St. Bernhard, und als Savoyen ein Herzogtum wurde, da ließ der Herzog von Savoyen dieses trotzige Wasserschloß ausbauen. Chillon wurde Residenz, der Sitz des Herzogs. Damals gehörte nicht nur Savoyen zu ihm, auch das schöne, reiche Waadtland war savoyisch. Darum hat das Schloß auch einen eigenen Bootshafen.

So hell aber das Schloß auch von weitem schimmert, weiß im blauen Gewässer, so düster wirkt es, wenn man in seine Nähe kommt.

Eine gedeckte Brücke führt zum äußeren Tor. Aber schon das. zweite Tor führt hinunter ins Verließ, ins Staatsgefängnis. Wohl sind es hohe Räume. Aber merkwürdig, fast gespensterhaft spiegelt sich hier das Licht, das vom See hinein geworfen wird an die hohen Spitzbogen. Weißgrün schimmert das Mauerwerk. Wir sehen da die Ringe, die an den Felsensäulen angebracht sind. Da waren die Gefangenen angekettet, Tag und Nacht. Nichts hörten sie mehr, als noch den Regen, der draußen auf den See niederschlug und den Wind, der die Wellen ans Ufer klatschen ließ.

Nur ein Paar Schritte hin und her, so weit es die schweren eisernen Ketten erlaubten, durften hier die Gefangenen machen. Ja, im Boden sieht man, wie mit Hammer und Meißel eingegraben, die Spur der wenigen Schritte, die die Gefangenen machen konnten. Und was für Gefangene waren da. Politische Gefangene, genau wie in unserer Zeit. Da zeigt man uns auch die Zelle Bonnivards. Bonnivard war ein Genfer. Genf war damals freie Reichsstadt. Aber als der Herzog von Savoyen mächtig war, wollte er auch diese Stadt erobern mit List und Gewalt. Da kam auch der Ruf nach geistiger Landesverteidigung.

Bonnivard, der Schriftsteller war, warnte seine Leute vor dem Herzog von Savoyen mit Wort und Schrift. Darum sah der Herzog in ihm einen politischen Feind, einen Gegner. Als daher Bonnivard im Jahr 1500 einmal die Mauern Genfs verließ, schnappten ihn die Häscher des Herzogs und brachten ihn hinauf nach Chillon ins Gefängnis. Sechs lange Jahre schmachtete der Freihcitsheld von Genf in diesem düsteren Gefängnis.

Erst im Jahr 15.W zogen die Berner erobernd in die Waadt ein und nun konnte auch Bonnivard aus dem Gefängnis befreit werden. „Bonnivard, du bist frei", riefen sie durch die Gefängnishallen. „Und Genf?" fragte Bonnivard zurück. „Frei, frei, auf ewige Zeiten!" Und nun erst traten die Frendentränen aus seinen Augen. Das Wohl seiner Vaterstadt war ihm lieber als sein eigenes Schicksal. Dieses Heldentum hat dann den berühmten englischen Dichter Lord Byron angeregt zu einem berühmten Gesang: „Der Gefangene von Chillon". Dieser Gesang fängt an mit folgendem Vers:

„Dein Kerker, Chillon, ist geweihte Zelle.

Dein dunkler Boden ward einst zum Altar.

Er zeigt uns noch, wie auf des Rasens Welle,

der Tritte Spur des greisen Bonnivard.“

Wohl trifft man in den obern Stockwerken, gerade über den Gefängnissen, die weiten Säle, den Waffensaal, den Saal der Herzogin, den Ratssaal. Wohl genießt man von den gotischen Bogenfenstern ans einen herrlichen Blick über den schimmernden See. Aber das Herz ist nicht oben in diesen Sälen, wo glänzende >Feste gefeiert wurden, wo rauschende Schleppen sich im Tanz bewegten und stahlblaue Rüstungen glänzten. Nein, unser Schweizerherz weilt unten, wo der berühmte Gefangene an Ketten geschmiedet an seine heißgeliebte Vaterstadt dachte und für ihr Wohlergehen den Segen des Himmels herabflehte.

So ist auch Chillon ein Wallfahrtsort für die Schweizer, ebenso wie die Tellskapelle am Vierwaldstättersee. Denn für die Freiheit Genfs und der welschen Schweiz gilt das Wort, das auch heute noch seine Bedeutung für uns alle hat: „Als Demut weint und Hochmut lacht, da ward der Schweizerbund gemacht."